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Reden und Malen wieder erlernen
Wie eine Frau einer Hamburger Stadtteilinitiative und ein
Wandmaler dazu kamen, in Pristina die 300 Quadratmeter
große Mauer eines Theaters mit regionalen Motiven zu
bemalen • Von Petra Schellen taz Hamburg Nr. 6313 vom 4.12.2000
Flora Brovina? Ismail Kadare? Was wir im Westen so
Schlaumeiern! "Die wollten Texte junger Autoren auf ihrem
Wandgemälde haben, Zeilen, die ganz aktuell das Leben nach
dem Krieg verarbeiten; Dichten scheint eine Art Volkssport
zu sein im Kosovo." Die dies sagen sind Anne Vertein von
der Stadtteilinitiative "Amanda 58 e.V." aus dem
Schanzenviertel und der Wandmaler Eckart Keller, die die
Bemalung einer 300 Quadratmeter großen Wand des
Nationaltheaters Pristina organisierten - und das ganz
selbstverständlich finden.
"Begonnen hat die Begegnung mit dem Kosovo im März
1999 mit Beginn der Nato-Bombardierung", erzählt Anne
Vertein. Damals flog die Uno Flüchtlinge aus den
Sammellagern in Albanien und Mazedonien aus, und 20
Studenten landeten hier in Hamburg. "Wir haben dann -
finanziert von der Behörde für Schule, Jugend und
Berufsbildung - Deutschkurse und Computerschulungen
organisiert, damit sie hier oder anderswo eine
Zugangsberechtigung für die Uni bekamen", erzählt sie. Ein
Jahr lang haben sie die Studenten geschult, offensichtlich mit
Erfolg: Fünf von ihnen sind in Deutschland, einer davon ist in
Hamburg geblieben, die übrigen leben wieder im Kosovo.
"So hat es angefangen, unser Interesse für den Kosovo. Wir
sind dann mal hingeflogen, um zu gucken, was man tun
kann im Bereich Kunst und Kultur. Wir wollten allerdings
keine klassischen sozialen Projekte durchführen, und so sind
wir auf die Idee mit dem Wandgemälde gekommen."
Praktisch und nicht rein zufällig vielleicht. Eckart Keller ist
nun mal Wandmaler.
"Ein bisschen kompliziert war es zwar, eine solche Aktion
durchzusetzen, um Zustimmung ringen mussten wir schon:
bei den lokalen Behörden und der UN-Verwaltung.
Überhaupt war es schwer herauszufinden, wer zuständig
war. Aber Lirak Celaj, der Intendant des Nationaltheaters,
war sofort begeistert, und so habe ich mir über einen
Entwurf Gedanken gemacht", berichtet Keller.
Wohlgemerkt: über einen Entwurf, nicht über eine
kolonisatorengleiche Ubermalung kosovo-albanischen
Gemäuers. "An der Aktion beteiligt war insbesondere der
Maler Bujar Lahu, der seinen Lebensunterhalt als
Bühnenbildner am Nationaltheater verdient. Beim Konzept
hat er mir allerdings den Vortritt gelassen", erzählt Keller.
Aber was sollte nun auf der weithin sichtbaren
Nationaltheater-Außenwand zu sehen sein? "Ich wollte
regionale Motive zeigen - denn Identitätsfindung scheint dort
derzeit das wichtigste Problem zu sein." Und so hat sich
Keller auf die Suche begeben, hat in Museen, alten Schriften
und an Gebäuden nach Motiven gesucht, die die Vielfalt
dieser Region friedfertig verdeutlichen könnten. Vielfältig
sind sie auch geworden, die übereinandergelegten Bordüren
und Stäbe, die die blau grundierte Wand jetzt zieren:
Treppenartige islamische Motive zeigt ein Band, illyrische
Ornamente ein anderes; darin verschlungen finden sich
Rautenmotive, die alten Teppichen entnommen sind. Die
Nationalfarben Schwarz, Weiß und Rot sind ebenso vertreten
wie bandkeramische Wellenlinien, die in die Urgründe der
Kultur zurückweisen. Und dazwischen moderne, sich mit
dem aktuellen Alltag auseinandersetzende Gedichte von Ali
Todrirnga und Agim Vimcka.
Warum aber diese elementaren Motive? Sind sie überhaupt
noch deutbar und relevant für die Identitätsbildung der jetzt
dort lebenden Menschen? "Es scheint so zu sein: Die Leute
haben die Motive spontan wiedererkannt, die an Friesen, in
Moscheen, Kirchen und in Trachten vorkommen und
bestimmten Ethnien zugeordnet werden können", sagt Keller.
Politisch korrekte, dokumentarische Vollständigkeit habe er
im Übrigen nicht angestrebt: "Ich habe die Elemente auch
nach ästhetischen Gesichtspunkten angeordnet, wollte aber
Motive, in denen sich die Menschen wiedererkennen. Und
die einander durchdringen, sich über- und unterlagern, je
nach Perspektive zusammen- oder auseinanderfallen wie ein
Mikadospiel, so dass der Betrachter einen vielleicht neuen
Blick auf die kulturelle Vielfalt seiner Region gewinnen
kann." Und möglicherweise befreie eine solch distanzierte
Perspektive auf lange Sicht von nationalistischen
Unterscheidungen, befreie sich wie der Schatten eines
tanzenden Menschen im Hintergrund des Gemäldes, ein
"Schatten", wie Keller ihn nennt, wissend, dass Schatten in
der Mythologie oft für die Seele stehen.
300 Quadratmeter Gerüst und etliche Tonnen Farbe waren
erforderlich um das Gemälde fertigzustellen - Dinge, die
Privatfirmen sponserten. Eine von ihnen übernahm auch den
Transport der viel zu zahlreich gespendeten Gerüste, die im
gesamten Kosovo weiterverwendet werden sollen. Den
vierwöchigen Arbeitsaufenthalt im September finanzierte
Keller aus Spenden. Eine Tatsache, "die unsere Partner in
Pristina schwer fassen konnten: Ihnen ist im Zuge westlicher
Wiederaufbauhilfe so viel versprochen worden, dass sie uns
erst geglaubt haben, als wir zum zweiten Mal kamen",
erzählt er. Der Krieg habe sich tiefhineingefressen in die
Seelen der Menschen: "Teamarbeit schien für sie eine fremde
Erfahrung, und sie haben genau beobachtet, wie wir
innerhalb der Gruppe miteinander umgingen, erzählt Anne
Vertein. "Es herrschte auch ein großes Misstrauen
untereinander, das sich nur allmählich legte."
"Wenn wir geredet haben, sollten wir schweigen, wenn wir
schwiegen, wollten sie, dass wir reden", sagt eins der
Gedichte über die Okkupation durch die Serben. Nach
solchen Erfahrungen ist es schwer, das Reden - und Malen -
wieder zu erlernen: "Die Wandmaler im Kosovo sind - wie
die dortige Kultur überhaupt - abgeschnitten von der
internationalen Entwicklung, und deshalb wollen wir im
Frühjahr 2001, als eins von mehreren Folgeprojekten,
Wandmaler hierher einladen und in Workshops schulen, um
ihnen den Blick für neue Ausdrucksmöglichkeiten zu öffnen",
sagt Keller.
Und vielleicht muss man damit schon im Kindesalter
beginnen: an den Theaterwänden des Puppen- und Off-
Theaters Doifona in Pristina zum Beispiel, das Keller im
kommenden Frühjahr zusammen mit einheimischen Künstlern
bemalen wird. "Das Theater liegt in einem Viertel, das stark
zerstört war und dessen Gebäude überwiegend schlammig-
braun sind - keine Augenweide. Und für die Kinder ist das
Theater ein Freiraum, ein Ruhepol, wohin sie aus ihren auch
psychisch oft zerrütteten Familien flüchten können", sagt
Anne Vertein; da können Porträts jener Puppen, mit denen
auch in dem Theater gespielt wird, auf der Außenwand schon
ein Lichtblick sein.
Doch beim Bemalen von Theatern belassen will es die
Stadtteilinitiative im Schanzenviertel auflange Sicht nicht:
Für die Zukunft geplant ist unter anderem ein Frauenprojekt:
"Es gibt ein Dorf, Kusamar, dem der Krieg fast nur Frauen
und Kinder gelassen hat und in dem es so brutal zugegangen
sein muss, dass die Mütter jegliche Pflege- und
Schutzinstinkte verloren haben; die Kinder trauen sich
deshalb von der Schule oft nicht nach Hause", erzählt Anne
Vertein. "Es wäre wichtig, mit den Müttern zu arbeiten und
ihnen ein bisschen Lebensmut wiederzugeben. Es gibt Pläne
des Universitätskrankenhauses Eppendorf, dort
psychosoziale Ambulanzen aufzubauen. Vielleicht können
wir auch diese Aktion malend ergänzen."
Und wenn man bedenke, dass dies "nur ein Beispiel für
tausendfach potenziertes Leid ist, es zum Beispiel in Ruanda
passiert ist, kann einem ganz elnd werden", sagt Anne
Vertein. Aber sie nimmt sich sofort zurück: Die Chance zur
Tat besteht jetzt und hier.
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